𝓘𝓶 𝓡𝓮𝓼𝓸𝓷𝓪𝓷𝔃𝓻𝓪𝓾𝓶
𝓴ꪖ𝓣Ri𝓃 kཞumm
Ein wütendes Tier bewacht den Höhleneingang von Bernifal. Seine warnenden Laute hallen durch die glitschigen Wände der Grotte. Er ist der Wächter von unzähligen Wandmalereien, jede mehrere Zehntausende Jahre alt. Gemalt in roter und schwarzer Farbe wurden dort Mammuts, Bisons und Rentiere aus der Erinnerung gezeichnet. Das flackernde Licht einer Flamme bringt die Tiere zum Tanzen.
Die „Grotte von Bernifal“ wurde 1902 wiederentdeckt und befindet sich auf einem Privatgrundstück in der französischen Gemeinde Meyrals, nicht unweit der Höhlen von Lascaux. Als sich die Künstlerin Tanita Olbrich auf Forschungsreise nach Südfrankreich begab, führte ihr Weg sie auf das Grundstück des französischen Bauerns. Gemeinsam begaben sie sich ins Innere der Höhle. Seine erzählerische Art, die Wandmalereien für Besuchende zu begleiten, hält Olbrich in einer Tonaufnahme fest. Mit seinen Worten unterlegt sie ihre Videoinstallation “Angry Animal”, die im Ausstellungsraum des Künstlerhaus Sootbörn gezeigt wird.
Anders als erwartet ist darin nicht das Innere der beschriebenen Höhle zu sehen, sondern intime Aufnahmen eines Schlafzimmers. Der Bildfokus liegt auf dem Boden des Zimmers: Unter und zwischen Möbelstücken, gerichtet auf scheinbar beiläufig
abgelegte Objekte wie Schlüsselbund oder Handy und inmitten von staubbehangenen Spinnweben. Obwohl das Zimmer komplett abgedunkelt ist, sind die Umrisse der Objekte klar zu erkennen. Um die Aufnahmen zu erstellen, verwendete Olbrich das Sicherheitssystem “Ring”. Die Kameras können damit Infrarot-Aufnahmen in völliger Dunkelheit erstellen, was durch den ungewöhnlichen Kontrast der Bilder ersichtlich wird. Die dazugehörige Software wird vor allem zur Bewachung von Privatgrundstücken verwendet. Während sich die Kamera bewegt und das Bild sich ändert, surrt sie leise. Der Klangteppich unterlegt die erzählerische Stimme des Bauerns, dessen Stimme das wachende Knurren des Höhlentiers imitiert.
Das kontrastreiche schwarz-weiß von Olbrichs Film steht im Gegensatz zum sanften Magenta, in das der restliche Raum durch zwei getönte, bodenlange Fensterscheiben getaucht ist. In dessen Mitte liegt ein Monitor, auf dem Leonie Kelleins Videoinstallation “The Patient Approaches The Aviary” zu sehen ist. Der Film zeigt verschiedene Bildebenen von sich überlagernden Aufnahmen eines Vogels. Im Hintergrund ist ein Innenraum zu sehen. Eine sanfte Stimme aus dem Off gibt Anweisungen, die mittels Untertitel wiederholt werden. Die Installation thematisiert eine Übung aus der tiergestützten Therapie. Bei einer sogenannten “Spiegelübung” stehen sich Mensch und Vogel in
einer therapeutischen Begegnung gegenüber. Die Patient*innen werden dazu angehalten, sich nur dem Käfig zu nähern, wenn sich ihr Gegenüber an ihre Anwesenheit gewöhnt hat. Sobald Unruhe entsteht, wird die Übung gestoppt.
Spiegelübungen werden zur Behandlung von Traumata eingesetzt. Bei den Tieren handelt es sich ebenfalls um traumatisierte Exemplare. Darum ist ein sensibles Annähern wichtig für beide Parteien.
Die Präsenz des Körpers im Raum ist ein wiederkehrendes Thema in Kelleins Arbeiten. Innerhalb der Ausstellung werden dessen Grenzen immer wieder aufgelöst und neu definiert, wodurch neue Verortungen entstehen. So befindet sich in der Mitte des Raums eine Halbkugel aus Plexiglas, die die Geräusche der Umgebung und der Menschen aufnehmen und sie innerhalb der Kugel wiedergeben. "The Aviary" fungiert zudem als Bindeglied zwischen Kelleins Filmarbeit und dem Ausstellungsraum, indem die Installation den geschützten Bereich der Übung sichtbar macht.
In der Nähe von Lascaux stieß Tanita Olbrich immer wieder auf die Publikation “The Mind in the Cave: Consciousness and the Origins of Art”, geschrieben von dem Archäologen David Lewis-Williams. Er beschreibt darin Wandmalereien als Bewusstseins-Schwelle, die Neanderthaler*innen näher an den heutigen Menschen brachte. Das flackernde Feuer der Höhlen erweckte den Anschein sich
bewegender Malereien und war maßgeblicher Faktor zu der Fähigkeit zu Imaginieren.
Kelleins und Olbrichs sensible Auseinandersetzungen schaffen einen ruhigen Raum, in dem imaginiert werden kann. „Mind In The Cave“ präsentiert die Ausstellung als experimentellen Raum, in dem sich Besucher*innen immer wieder neu verorten können. Die Grenzen sind teilweise fließend, so können sie sich gleichzeitig in mehreren Zuständen befinden: zwischen Beobachtung und Teilnahme, zwischen Einsamkeit und Gemeinschaft im Spannungsfeld von Mensch, Tier und Technik.